Männer in der Pflege

 

Der Anteil der Männer in der Pflege steigt, so stimmt mein subjektiver Eindruck mit den Aussagen von Interviewpartner Michael Franz überein. Betrachtet man jedoch alleine die Absolventenzahlen am Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen,der konzerneigenen Ausbildungsstätte der Vivantes GmbH in Berlin, so ergibt sich ein uneinheitliches Bild ohne einen klaren Trend. Das Institut hat 5 Fachbereiche: Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Operationstechnische Assistenz und Hebammen. Während von 2008 bis 2011 kein einziger Entbindungspfleger ausgebildet wurde und von 2006 bis 2010 nur ein einziger Mann gegenüber 80 Frauen die Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger absolvierte, so ist der Männeranteil in den übrigen Fachbereichen wesentlich höher: Der Anteil der Männer an den Absolventen in der Gesundheits- und Krankenpflege schwankt in den letzten 6 Jahren zwischen dem Tiefstwert von 12,7 % im September 2006 und dem Höchstwertvon 34,5 % im März 2007. Dabei ist aber kein deutlicher Trend zu erkennen, denn der Anteil sinkt, wächst wieder, um dann wieder abzufallen. Der Gesamtanteil von Männern in der Gesundheits- und Krankenpflege entspricht dem Gesamtanteil von Männern in der Operationstechnischen Assistenz. Nur in der Altenpflege, woder Männeranteil sich auch diskontinuierlich entwickelt, erreicht derGesamtanteil der Männer an allen Altenpflegeschülern von 2007 bis 2010 fast ein Drittel (31,25 %).

 

Bundesweit und fachübergreifend betrachtet hat jedoch der Männeranteil an der Pflege in den letzten zwanzig Jahren zugenommen, so die Mitgliederversammlung der Männerarbeit in der Evangelischen Kirche Deutschland. Während der Männeranteil im Jahr 1991 noch 17 % betrug, so ist er inzwischen auf 30 % angestiegen. DieFrage ist nun, wie ein Beruf, der ganz offensichtlich von beiden Geschlechtern ausgeübt werden kann, pflegehistorisch zu einem Beruf werden konnte, der langeZeit als „Frauenberuf“ galt.

 

Blicken wir auf die Geschichte der Pflege im christlichen Abendland zurück. Wegweisend war die Gründung der Benediktinerklöster im 6. Jahrhundert, die sich bewusst von der Askese abgrenzten. Die Mönche wandten sich nicht nur dem Geistlichen zu,sondern arbeiteten auch körperlich. In der Regel des Benedikts von Nursia wirdin Kapitel 36 die Sorge um die kranken Brüder geregelt, denen man so dienensolle, als ob sie wirklich Christus seien. „Die kranken Brüder sollen eineneigenen Raum haben und einen eigenen Pfleger, der Gott fürchtet und ihnensorgfältig und eifrig dient.“ Die Regeln des heiligen Benedikts wurden auch von anderen Mönchs- und Nonnengemeinschaften übernommen, also wohlgemerkt von Männern und Frauen. Die frühen Xenodochien und Hospitäler lassen sich im deutschen Raum erst ab dem 12. Jahrhundertnachweisen; sie hatten ein breiteres Aufgabenspektrum als moderne Krankenhäuser und wendeten sich nicht nur den Kranken, sondern allen sozial Ausgegliederten zu. Die Arbeit in diesen frühen Krankenhäusern taten Männer und Frauen. In der Folge der Kreuzzüge zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert wurden zahlreiche ritterliche Orden gegründet, wie z.B. die Lazaristen, die sich nicht nur dem Kampf und der Bekehrung, sondern auch der Krankenpflege widmeten. Diesen Männerorden waren Frauenorden angeschlossen, die sich ebenfalls der Krankenpflege widmeten. Aufder Seite der weltlichen Pflege gab es nicht nur die Beginen, sondern – und daswird fast gar nicht erwähnt - auch die Begarden. Selbst in der Reformationszeit standen Männerorden wie die „Väter des guten Sterbens“ Frauenorden wie den „Barmherzigen Schwestern“ gegenüber. Fazit: Bis zum 18. Jahrhundert wurde diePflege von Männern und Frauen gleichberechtigt ausgeübt.   

 

Wendepunkt in der Geschichte waren die napoleonischen Befreiungskriege, in der sich „Vaterländische Frauenvereine“ zur Unterstützung der „Krieger im Feld“ bildeten. Sie waren vor allem aus Frauen aus dem Bürgertum zusammengesetzt, die bis dahin Hausarbeit verrichteten. So wurde ein gesellschaftlich bis dahin ungenutztes Potential für die Pflege entdeckt, nämlich die bürgerlichen Hausfrauen, die untätig zu Hause hockten. Im 19. Jahrhundert wurden aus wirtschaftlichen Gründen bevorzugt Frauen für die Pflege rekrutiert, weil die Pflege Hausarbeitsnähe hatte und die Frauen qua ihrer Sozialisation anspruchslos und fügsam waren und nur für ein kleines Taschengeld am Patienten Pflegewie einen Liebesdienst erbrachten. Weibliche Pflegerinnen waren wesentlich billiger als die männlichen Pfleger und es ist belegt, dass viele Wärter mehrGeld verdienten als die ihnen übergeordneten Schwestern. Die besondere Eignung der Frau für die Pflege wurde ideologisch untermauert. So schrieb Buss 1844: „Der zum Krankendienst glücklich befähigte Körperbau, die Gelenkigkeit,Fügsamkeit, Geschmeidigkeit der weiblichen Glieder bilden sich durch Übung zueiner solchen Behendigkeit, zu einem solchen Ebenmaß in Bewegung und Handlung, zu einer solchen Anstelligkeit und Gewandtheit, die stets die Angemessenheit des zu Verrichtenden sichert“.

 

Claudia Bischoff argumentiert überzeugend, wenn sie den Mehrwert ablehnt, den ein Mensch in die Krankenpflege von Haus aus mitbringt, zum Beispiel Empathie oder die Kunst desZuhörens. Diese Eigenschaften bringen viele in den Beruf mit ein, ohne einenGegenwert dafür zu erhalten. Alles für den Pflegeberuf erforderliche solle aber in der Aus-, Fort- und Weiterbildung erlernt werden können, um keine Menschen zu benachteiligen, die aufgrund ihres Geschlechts eine Rolle zugewiesen bekamen und in ihrer Sozialisation auf bestimmte Verhaltensweisen getrimmt wurden. Denn traditionell sind es die Eigenschaften, die dem weiblichen Geschlecht angedichtet und aufgepropft werden, die angeblich besonders zur Krankenpflegebefähigen. Die Anforderungen an den Beruf sollten aber geschlechtsneutral formuliert werden, um niemanden am Pflegeberuf Interessierten zudiskriminieren. Schon in der Sozialisation sollte Geschlecht und Rolle reflektiertwerden. Auch wir Männer werden auf eine Rolle festgelegt, wenn es heißt, dasswir uns daher so gut für die Altenpflege eignen, weil man dort doch so schwerheben und tragen müsse. Um was kann es aber dann noch beim einem Vorstellungsgespräch um einen Ausbildungsplatz gehen, wenn geschlechtsspezifische Eigenschaften nicht mehr zählen dürfen? Man müsste einfach die Motivation des Bewerbers abklopfen, sein Interesse am Pflegeberufuntersuchen und gemeinsam überlegen, ob der Bewerber eine dreijährigeAusbildung auch durchhalten kann. Denn es sollte durchaus ermittelt werden dürfen, ob ein Bewerber sich für den Pflegeberuf eignet, denn auch bei einergeschlechtsneutralen Sozialisation kann man bestimmt nicht aus jedem Menscheneinen Pfleger erschaffen. Doch in jedem Fall ist ein Verzicht auf überkommene Rollenklischees die Chance für die Männer, auch in den interessanten Pflegeberuf vorzudringen.